Wofür wir stehen
«Lädst Du eigentlich jemanden zum Gottesdienst ein, in den du selber gehst?» Über diese Frage bin ich an einer Fortbildung des Katholischen Liturgischen Instituts gestolpert, an der ich die einzige reformierte Teilnehmerin war. Dort stellte ein Pfarrer aus einer deutschen unierten Kirche ein Projekt aus der anglikanischen Kirche in England vor. Der Grundgedanke ist simpel: Mund-zu-Mund-Propaganda ist am wirksamsten. Also lade ich aus meinem Freundeskreis jemanden ein, mit mir zu einer Veranstaltung zu gehen, in die ich selbst gehe. Ich fühlte mich ertappt: Ich beschäftige mich viel damit, wie Gottesdienste einladender werden könnten, doch selbst jemanden aus meinem Freundeskreis dazu einzuladen, der oder die normalerweise keine Gottesdienste besucht? Mir fallen etliche gute (und weniger gute) Ausreden ein, warum ich da sehr zurückhaltend bin. Und wenn ich ehrlich bin: Manchmal bin ich selbst nicht recht überzeugt von dieser Art Veranstaltung, an der ich doch recht regelmässig teilnehme: Oft senke ich in Gottesdiensten mit meinen 50+ den Altersdurchschnitt der Anwesenden, immer wieder ist das Singen eine recht traurige Angelegenheit oder die Predigt einfach langweilig. Das kann man doch niemand zumuten! Ja, aber: Warum gehe ich denn selbst hin?
Weil ich auch andere Erfahrungen im Gottesdienst gemacht habe: Das Erlebnis, in der feiernden Gemeinschaft aufgehoben zu sein, ein Satz aus einer Predigt, der mich durch die Woche trägt, ein Lied, bei dem ich aus vollem Herzen mitsingen kann, eine berührende Abdankung, bei der die Auferstehungshoffnung spürbar wird, oder bei einem Abendmahl gar ein kurzer Blick in den Himmel, eine Ahnung davon, wie es sein wird, wenn wir einst mit Menschen aus allen Himmelsrichtungen im Reich Gottes zu Tisch sitzen werden. Solche Erfahrungen sind es, warum ich die reformatorische Grundüberzeugung teile, dass der Gottesdienst unverzichtbares Grundmerkmal der Kirche ist.
«Semper reformanda» – hier geht es also nicht um die Frage, ob Gottesdienst feiern heute noch zeitgemäss ist, sondern darum, wie Gottesdienst gefeiert werden kann, so dass er seine Funktion heute erfüllt: Zeit-Raum der Begegnung mit Gott und untereinander zu sein, in dem Gottes Wort gehört, geschmeckt und erfahren wird. Wie können Gottesdienste so gestaltet werden, dass sich heute in unseren Gemeinden Menschen gerne einladen lassen mitzufeiern, dass Gottes Wort für sie verständlich wird, dass sie von Herzen mitbeten und mitsingen? …. und ich mich doch traue, selbst jemanden dazu einzuladen?
Semper reformanda? Im Vertrauen, dass Gottesdienst Gottes Sache ist und er schenkt, was nicht gemacht werden kann: Ich bin dabei und lade Sie dazu ein!
Christine Oefele